Erinnerungslandschaften des kollektiven Leidens: Naturkatastrophen und Erinnerung im gegenwärtigen China
Third party funded individual grant
Start date :
15.12.2023
End date :
14.12.2026
Project details
Scientific Abstract
Seit den 2010er Jahren lassen sich zunehmende
Eingriffe der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) in die chinesische
Kulturindustrie beobachten, die auf Kontrolle und Zensur der
Interpretation der Vergangenheit sowie die Disziplinierung von Affekten
und Emotionen im öffentlichen Raum abzielen. Die koexistierenden
Meistererzählungen von Modernisierung und Revolution werden an der
Schnittstelle zwischen den persönlichen Erfahrungen des/der
partizipativen KonsumentIn und den vorherrschenden historischen
Diskursen von Patriotismus und Fortschritt reproduziert. Wie kann aber
die KPCh die "dunklen Erinnerungen" an Katastrophen in ihre
Erfolgsgeschichte einbinden? Die bisherige Forschung zu dark memories
hat sich auf die politische Gewalt und die sozialen Umwälzungen im China
des 20. Jahrhunderts konzentriert. Ausgehend von der Bedeutung der
Kontrolle der Natur und der Lösung ökologischer Probleme für die
politische Legitimität der KPCh untersucht das Projekt, wie
Naturkatastrophen und das daraus resultierende menschliche Leid in einem
dynamischen und diachronen Prozess der Erinnerungsbildung unter sich
verändernden politischen, sozialen und technologischen Bedingungen
benannt und erzählt werden. Das Projekt verbindet die Methoden der
historischen Diskursanalyse mit denen der Medien- und
Literaturwissenschaft und fragt nach den sozialen und politischen
Dynamiken und Kontingenzen bei der Erinnerung an Naturkatastrophen. Im
Fokus stehen zwei Fallstudien zu touristischen Orten als
Erinnerungsräume: 1) Naturtourismus am historischen Ort des Deichbruchs
in Huayuankou im Juni 1938, der zur Überschwemmung des Gelben Flusses
(1938-1947) führte; 2) dark tourism an den Epizentren der beiden
Erdbeben von Tangshan (1976) und Wenchuan (2008). Wir setzen uns mit der
Idee einer monolithischen offiziellen Geschichtsschreibung von
Naturkatastrophen auseinander und untersuchen das Zusammenspiel von
Akteuren, die Erinnerung schaffen, die sich verändernden Landschaften
touristischer Stätten, sowie Gedenkmedien und die Rolle öffentlicher
Affektregulierung. Das Projekt wird einen entscheidenden Beitrag zum
Verständnis der sozialen und politischen Implikationen der Erinnerung an
Naturkatastrophen leisten. Es wird die Bereiche Erinnerungsforschung
und Affekttheorie mit Fallstudien aus dem heutigen China bereichern. Es
reiht sich zudem in das interdisziplinäre Feld der Katastrophenforschung
ein, die Naturkatastrophen als geschichtsbildende Ereignisse
betrachtet, deren soziale, politische und affektive Auswirkungen
Generationen überdauern können.
Involved:
Contributing FAU Organisations:
Funding Source