Internally funded project
Start date : 01.10.2018
Als ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zahlreiche, mit antiken Gefäßen reich ausgestattete Gräber in Unteritalien und Etrurien aufgedeckt wurden, erregte dies erhebliches Aufsehen in Europa. Schnell wurden erste Sammlungen zusammengetragen und große Stichwerke – wie die ab 1767 erschienene Publikation der Sammlung des englischen Gesandten am neapolitanischen Königshof Sir William Hamilton – verbreiteten die Kenntnis der Vasen und ihrer reichen Bilderwelt. Die dadurch steigende Nachfrage nach antiker Keramik ließ sich nicht einmal mehr durch die zahlreichen Raubgrabungen, die alle archäologischen Kontextinformationen unwiederbringlich zerstörten, befriedigen. So gewannen auch moderne Reproduktionen und freiere Nachahmungen verschiedener Firmen wie die neapolitanische Manufaktur Giustiniani an Beliebtheit und fanden Eingang in Sammlungen und private Interieurs. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verebbte das Interesse für antikisierende Keramik nicht, im Gegenteil: neue Firmen – wie etwa die dänische Firma Hjorth in Rønne – entstanden und fertigten noch bis ins 20. Jahrhundert hinein für eine breite interessierte Kundschaft.
Bislang fast unbekannt ist der archäologischen Rezeptionsforschung
die Produktionslinie der Firma August Sältzer, die spätestens ab 1864 in
Eisenach mit der Fertigung von Gefäßen nach antiken Formen und mit
antiken oder antikisierenden Bildern begann. Weitaus bekannter ist diese
Firma heutzutage für ihre Bierhumpen, etwa Nachahmungen der sogenannten
Creußener Krüge, während die antikisierenden Vasen in Vergessenheit
geraten sind.
Als Vorlagen für die Vasen wurden Stichwerke wie die 190 Tafeln mit Umrisszeichnungen umfassende Galerie
Mythologique. Recueil de Monuments pour servir a l’étude de la
mythologie, de l’histoire de l’art, de l’antiquité figurée. Et du
langage allégorique des anciens von Aubin-Louis Millin (Paris 1811)
oder die zahlreichen Publikationen des Klassischen Archäologen Eduard
Gerhard verwendet, die die Vasenbilder in reichen, kolorierten Stichen
der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hatten. Beiden Publikationen, die
exemplarisch für eine ganze Reihe anderer im 19. Jahrhundert stehen, ist
gemeinsam, dass sie die Bilder von ihrem dreidimensionalen Bildträger –
der Vase – lösen und quasi als Abrollung auf die Tafel drucken. Dadurch
waren sie als Vorlagen für das neu entstehende Kunstgewerbe und seine
unterschiedlichen Belange verwendbar – ob auf Möbeln, als Wanddekoration
oder eben auf neuen Gefäßen. So werden in der Firma August Sältzer
sowohl die Bilder als auch die Ornamente, Vasenformen und der Malstil
von der Antike übernommen, jedoch stets in neuen Kombinationen,
unabhängig von der originalen Vase. Da es sich somit nicht um Kopien
handelt, steht das originale Objekt anders als in der Archäologischen
Wissenschaft nicht im Vordergrund des Interesses. Allein die
Vorbildhaftigkeit der antiken Formen und Bilder für das Kunstgewerbe war
von Bedeutung. Kunstfertigkeit besaß derjenige, dem es gelang, mit
Geschmack diese Elemente zu kombinieren.
Und August Sältzer scheint diesbezüglich überaus erfolgreich gewesen zu
sein, da man seine Arbeiten mehrfach auf den Kunstgewerbeausstellungen
in Deutschland und Österreich prämierte und seine Vasen auch Eingang in
den Bestand der neu entstandenen Kunstgewerbemuseen (etwa in München und
Wien) fanden. Und nicht nur dies: Die Firma erwarb sich wegen ihrer
qualitätsvollen Nachahmungen auch den Titel des Hoflieferanten am
preußischen Königshof.
Die Untersuchung der Eisenacher Produktion kann daher einen
beispielhaften Einblick in den zeitgenössischen Geschmack – vor allem
des wohlhabenden Bürgertums – in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
geben. Die Antike gesellte sich in deren heimischen Interieurs immer
häufiger neben Produktionen anderer Stilarten – ohne, dass dies störte,
wie die „Zeitschrift für Kunst und Gewerbe“ von 1873 zur Verwendung
derartiger Vasen bemerkte: „Man könnte vielleicht die Frage
aufwerfen: Was sollen diese Nachbildungen altgriechischer Vasen und
Schüsseln in unsern modern eingerichteten Zimmern? Werden sie, müssen
sie dort nicht den Eindruck der Unruhe, des Unpassenden machen, das
mühsam hergestellte Ensemble derselben stören? Die Frage ist unbedingt
zu verneinen, sofern der Besitzer überhaupt ein Verständniss für die
Eigenart der einzelnen Gegenstände mitbringt, die er in seinen Gemächern
zusammenstellt, sobald er mit Absicht und künstlerischem Geschmacke
wählt, der ihn in Bezug auf Form und Farbe das Richtige treffen lässt.
Ist das der Fall, dann stören diese Nachbildungen neben Majoliken so
wenig, als Abbildungen des Parthenon-Frieses neben einer solchen der
Hermannsschlacht auf dem östlichen Giebel der Walhalla und eine Copie
der Mediceischen Venus neben einer Apostelfigur von Peter Vischer.“ (Kunst und Gewerbe, Wochenschrift zur Förderung Deutscher Kunst-Industrie 7. Jg. Nr. 27, 1873, 214)
Verschiedene Exemplare der Produktion und ein Verkaufskatalog der Firma ermöglichen einen nahsichtigen Einblick in die Variationsbreite der Produktion. Anhand dieser Zeugnisse werden Fragen nach den Geschmacksvorstellungen der Zeit in Bezug auf die griechische Antike, den Umgang mit Vorlagewerken und dem Stellenwert der Originale untersucht, ebenso wie ein Einblick in die spezifische Rezeption der Antike und die damit zusammenhängende kunstgewerbliche Produktion im Historismus verfolgt wird.
Projektleitung: Prof. Dr. Corinna Reinhardt
Durchführung: Prof. Dr. Corinna Reinhardt, Katharina Hefele, BA, Jannis Rütten, BA