Processes of Negotiation in Opera Audiences of the 19th Century

Internally funded project


Start date : 01.09.2014


Project details

Scientific Abstract

Das Forschungsprojekt widmet sich in einer historiographischen Recherche den performativen Anteilen unterschiedlicher Publika an theatralen Aufführungen der Vergangenheit, um die in der Theatergeschichtsschreibung verbreitete These einer im Verlaufe des 19. Jahrhunderts kontinuierlich zunehmenden Disziplinierung und Passivierung eines vormals deutlich aktiveren Publikums grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen. Das Projekt geht dabei von der Annahme aus, dass sich lokale, institutionsspezifische Eigenarten von Publikumsverhalten im Theater herausbilden können und sich insofern unterschiedliche Applauskulturen gerade in der Oper als dem vielleicht zentralen Medium kultureller Selbstverständigung des 19. Jahrhunderts unterscheiden lassen. Hierzu ist eine vergleichende Analyse verschiedener Publikumskonfigurationen an ausgewählten französischen und italienischen Opernhäusern im Zeitraum von 1830 bis 1870 geplant, welche die dort gepflegten spezifischen Praktiken der Zuschauer – im Sinne von Wahrnehmungs- und Handlungsweisen – anhand eines breiten Spektrums zeitgenössischer Quellen gleichermaßen in ihren Kontinuitäten untersuchen möchte, wie auch deren Wandel zu erfassen versucht, den der gewählte historische Ausschnitt in besonderem Maße erwarten lässt. Die vielgestaltigen Austauschprozesse zwischen Bühne und Zuschauerraum im Spannungsfeld von Selbstermächtigung und Regulierungsversuchen sollen in diesem Sinne vor dem Hintergrund unterschiedlicher ästhetischer Strategien, sich verändernder politischer Verhältnisse und staatlicher Strukturen wie sozialer Gefüge betrachtet werden. Darüber hinaus soll gezielt auch gefragt werden, inwiefern sich mit der sich Mitte des 19. Jahrhunderts vollziehenden Ökonomisierung weiter Teile des gesellschaftlichen Lebens einschließlich des Opernbetriebs auch eine Ökonomisierung des Aufführungsgeschehens selbst verbindet, wie sie sich in der seinerzeit beobachtbaren Herausbildung neuer Akteure (Kritiker, Claqueure, Enthusiasten) andeutet. Erschlossen und ausgewertet werden soll hierzu Archiv- und Quellenmaterial insbesondere zu Opernhäusern in Paris, Mailand, Neapel und Parma.

Mit seinem Fokus auf die Aushandlungsprozesse, den Aktionsspielraum und die Handlungsmacht auch der Zuschauer möchte das Projekt das Konzept der „Aufführung“, das in der Theaterwissenschaft in den vergangenen Jahrzehnten in konsequenter Abkehr vom Werkbegriff etabliert, bislang aber fast ausschließlich theoretisch und gegenwartsbezogen diskutiert wurde, erstmals umfassender und systematisch auch auf historische ’Gegenstände’ hin erproben. Dieser Perspektivwechsel verspricht nicht nur, einen Beitrag zu einer notwendigen theaterhistoriographischen Fundierung des Aufführungsbegriffs zu leisten, sondern lässt in seiner Verknüpfung struktur- und ereignisgeschichtlicher Fragestellungen auch neue Blicke auf die Theatergeschichte des 19. Jahrhunderts erwarten, in deren Erforschung dem Faktor Publikum bislang nicht hinreichend Rechnung getragen wurde.

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