Internally funded project
Start date : 01.05.2022
Die Arbeit geht der Frage nach, wie die literarische Aneignung der Hiob-Geschichte eigene Wege findet, das Kernthema des biblischen Buches, menschliches Leiden, zu verhandeln. Dabei erweist sich die volkssprachliche Hiob-Rezeption der Vormoderne als literarische Arbeit an Krisen unterschiedlicher Lebens- und Leidensbereichen, sodass das Projekt auch einen Beitrag zur Frage nach einer Narratologie der Krise leisten soll: Mit Hiob wird von Krisen erzählt und Leiden versprachlicht; anhand der Rezeption seiner Geschichte ist es möglich, im Raum der Literatur über Bedeutungsdimensionen krisenauslösender Ereignisse nachzudenken, Entscheidungsoptionen abzuwägen und Wege aus einer Krise zu entwickeln, zu testen, zu verwerfen oder zu aktualisieren.
Die Bibel gilt im christlichen Mittelalter als Schlüssel zur Welt. Doch so verbindlich die Heilige Schrift auch ist: Damit ihre Geschichten Teil des kulturellen Gedächtnisses werden und bleiben, müssen sie stets neu erzählt und neu verstanden werden. Im gelehrt-theologischen Diskurs bedeutet dies meist ein immer tieferes, intellektuelles Durchdringen der Sinnebenen des Heiligen Textes; volkssprachliche Literarisierung dagegen entwickelt ganz eigene Strategien und Spielarten. Wie groß die Freiräume im poetischen Umgang mit biblischen Geschichten sein können und welches Spektrum an literarischen Strategien sichtbar wird, wird in diesem Projekt anhand eines Beispiels beleuchtet: der Hiob-Figur.
Das biblische Hiob-Buch ist ein umfangreicher und komplexer alttestamentlicher Text, der zentrale Fragen des Glaubens thematisiert und sich an existenziellen Fragen des Menschen abarbeitet. Dabei konkurrieren verschiedene Deutungsmuster miteinander und nicht alle Widersprüchlichkeiten werden textimmanent gelöst. Damit scheint das alttestamentliche Hiob-Buch die Ambiguitätstoleranz der Rezipierenden, die der Texthermeneutik des mittelalterlichen Westens ohnehin eigen ist, in einem besonderen Maß herauszufordern. In der volkssprachlichen Rezeption lassen sich nun einerseits vereindeutigende Sinnzuweisungen finden, andererseits können die dem Buch inhärenten Ambiguitäten herausgestellt, auf andere Phänomene übertragen oder als solche thematisiert werden.
So lässt sich schon früh eine Stilisierung der Figur zur Verkörperung des frommen Dulders beobachten, welcher das göttliche Wirken akzeptiert und schließlich dafür belohnt wird. Dieses lineare Kurznarrativ ist gattungsübergreifend so verbreitet, dass allein Hiobs Name zu genügen scheint, um es aufzurufen. Doch die Rezeption der biblischen Hiob-Geschichte bleibt nicht auf eine solche narrative Reduktion und moraltheologische Instrumentalisierung beschränkt, denn der neue Kontext kann sich an jenem mit Hiob aufgerufenen Kurznarrativ von der Geduld als sicherem Weg zur Erlösung reiben.
Die Arbeit geht der Frage nach, wie die literarische Aneignung der Hiob-Geschichte eigene Wege findet, das Kernthema des biblischen Buches, menschliches Leiden, zu verhandeln. Dies meint mehr als ein Nachdenken über jene Fragen, die in der Moderne unter dem Stichwort des Theodizee-Problems firmieren. Die Hiob-Rezeption erweist sich als literarische Arbeit an Krisen unterschiedlicher Lebens- und Leidensbereichen, sodass die Untersuchung der Hiob-Rezeption auch einen Beitrag zur Frage nach einer Narratologie der Krise leisten soll: Mit Hiob wird von Krisen erzählt und Leiden versprachlicht; anhand der Rezeption seiner Geschichte ist es möglich, im Raum der Literatur über Bedeutungsdimensionen krisenauslösender Ereignisse nachzudenken, Entscheidungsoptionen abzuwägen und Wege aus einer Krise zu entwickeln, zu testen, zu verwerfen oder zu aktualisieren.
So untersucht das Projekt die Vielfalt der volkssprachlichen Hiob-Rezeption in gattungsinterner wie gattungsübergreifender Perspektive (Epik/Lyrik/Drama) und geht damit auch der Produktivität mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Bibelrezeption nach, wobei ideengeschichtliches Interesse (insbesondere in Hinblick auf das Konzept der Geduld), kulturwissenschaftliches Zusammendenken von Texten und (Wissens-)Kontexten, aber auch der Blick auf die innere Ordnung der einzelnen Werke eng ineinander wirken. Dabei erweist sich das 16. Jahrhundert als Zeit vielfältiger religiöser und gesellschaftlicher Umbrüche als besonders produktives Forschungsfeld.