Intra-europäische Lifestyle Migration an die spanische Costa Blanca. Repräsentationen des Ländlichen und Alltagspraktiken in Zeiten der Finanz- und Immobilienkrise

Weidinger T (2016)


Publication Language: German

Publication Type: Thesis

Publication year: 2016

Abstract

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit intra-europäischer Lifestyle Migration von deutschen und britischen (Früh-)Rentnern ins ländliche Spanien, genauer gesagt an die nördliche Costa Blanca und deren Hinterland. Dabei wurden vor dem Hintergrund eines veränderten strukturellen Kontexts in Folge der Finanz- und Immobilienkrise folgende Fragen diskutiert:

  1. Welche Zusammenhänge bestehen zwischen den für die Migration relevanten räumlichen Repräsentation des Ländlichen und den Alltagspraktiken vor Ort? Inwiefern haben sich Alltagspraktiken der relativ wohlhabenden (Früh-)Rentner vor dem Hintergrund der Finanz- und Immobilienkrise verändert?
  2. Welchen Beitrag leisten deutsche und britische (Früh-)Rentner aus ihrer eigenen Sicht, das heißt selbstreflexiv, zur lokal-regionalen Entwicklung in Zeiten der Krise? Inwiefern spiegeln sich darin Aspekte von relativer Privilegiertheit wider?

Zur Diskussion der Forschungsfragen wurden neben einer umfangreichen Literaturrecherche biographisch-narrative Interviews mit deutschen und britischen (Früh-)Rentnern und problemzentrierte Interviews mit lokalen Experten durchgeführt. Einem sozialkonstruktivistischen Raumverständnis folgend wurden für die Analyse jedoch nur diejenigen biographisch-narrativen Interviews verwendet, in denen Befragte von sich aus angaben, „auf dem Land“ zu leben. In theoretisch-konzeptioneller Hinsicht folgte die Arbeit sowohl dem dreigeteilten Modell des ländlichen Raums von Halfacree (2006) als auch dem Lifestyle Migration-Ansatz von Benson und O’Reilly (2009).

Die empirischen Ergebnisse zeigen, dass (Früh-)Rentner Migrationsentscheidungen relational zu anderen Orten, Personengruppen und Zeiten aushandeln. Dabei stehen die mit der Wohnstandortwahl verbundenen Repräsentationen des Ländlichen in enger Wechselbeziehung zu den Alltagspraktiken der (Früh-)Rentner. Die (Früh-)Rentner versuchen im Alltag nach der Migration die, mit der Umzugsentscheidung verbundenen, idyllischen Erwartungen, Imaginationen, Hoffnungen und Träume an ein besseres Leben in entsprechende räumliche Praktiken zu übersetzen. Die Finanz- und Immobilienkrise und ihre negativen Folgen für die spanische Bevölkerung führten jedoch aus Sicht der (Früh-)Rentner dazu, dass ‚ihre‘ ländliche und soziale Idylle bedroht wird. Um diese negativen Folgen abzuschwächen und einen Bruch zwischen idyllischer und gelebter Ländlichkeit zu verhindern, haben sie zum einen Alltagspraktiken aufrechterhalten beziehungsweise intensiviert, zum Beispiel in Bezug auf Spenden und ehrenamtliches Engagement. Zum anderen veränderten sie Praktiken, zum Beispiel hinsichtlich des lokalen Konsums oder nachbarschaftlicher Hilfe. Damit bestätigt die Arbeit, dass es sich bei Lifestyle Migration um eine andauernde Suche nach dem besseren Leben handelt, die durch die Veränderungen von Orten und Kontexten beziehungsweise persönlichen Umständen gestört werden kann.

Die empirischen Ergebnisse lassen außerdem darauf schließen, dass deutsche und britische (Früh-)
Rentner davon ausgehen, durch ihre Alltagspraktiken einen Beitrag zur lokal-regionalen Entwicklung in Bezug auf Immobilienmarkt, Lokalwirtschaft und sozialem Engagement in der Krise zu leisten und damit die Auswirkungen dieser möglichst gering halten. Die (Früh-)Rentner reflektieren über ihr eigenes Handeln und die daraus folgenden Konsequenzen, sind sich ihres relativ privilegierten Status und ihres relativen Wohlstands bewusst und setzen diesen, wie das Beispiel der Konsumpraktiken und des sozialen Engagements zeigt, in der Krise auch aktiv in Wert.

In methodischer Hinsicht konnte die Arbeit den Mehrwert biographisch-narrativer Interviews, die in der Geographie bisher eher spärlich eingesetzt wurden, aufzeigen. In der Begründung für einen Wohnstandort spiegeln sich immer auch Träume, Sehnsüchte, Enttäuschungen und Erinnerungen wider. Wird Migration deshalb nicht als abgeschlossener Migrationsakt, sondern als Handlung im Zeitverlauf kontextualisiert, kann sie als Teil der Biographie für den Forschungsprozess in Wert gesetzt werden, um raumwirksame, gesellschaftliche Prozesse zu untersuchen.

In theoretisch-konzeptioneller Hinsicht konnte die Arbeit den Mehrwert des aus der Soziologie stammenden Lifestyle Migration-Ansatzes im Vergleich zu anderen Erklärungsansätzen aus der geographischen Migrationsforschung, wie internationaler Ruhesitzwanderung, internationaler Counterurbanisierung, Residenztourismus und annehmlichkeitsorientierter Migration, herausstellen. Die Stärke liegt darin, dass Lifestyle Migration als einziges Konzept die Komplexität freizeit- und lebensstilorientierter Mobilitäten fassen kann, indem es sowohl individuelle und strukturelle Faktoren der Migrationsentscheidung berücksichtigt, als auch die der Migrationsentscheidung zugrunde liegenden Repräsentationen und alltäglichen Praktiken nach der erfolgten Migration untersucht. Die Arbeit konnte zeigen, dass der Ansatz außerdem an relationale, sozialkonstruktivistische Raumkonzepte, wie das dreigeteilte Modell des ländlichen Raums von Halfacree (2006) anschlussfähig ist und eine Brücke zwischen Migrationstheorie und Raumtheorie schlagen kann. Überdies ermöglicht Lifestyle Migration durch den Fokus auf Privilegiertheit die Anbindung an andere aktuelle sozialgeographische Fragestellungen in den rural studies beziehungsweise Geographien des Ländlichen. Mittels Analyse der Erfahrung relativer Privilegiertheit durch Migranten konnte die Arbeit schließlich zeigen, dass Lifestyle Migration auch als Erklärungsansatz für räumliche Auswirkungen altersselektiver Zuwanderung auf Lokalbevölkerung, Hierarchien und Kulturen geeignet ist. Somit ist eine Anschlussfähigkeit an Fragen der Regionalentwicklung möglich.

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Weidinger, T. (2016). Intra-europäische Lifestyle Migration an die spanische Costa Blanca. Repräsentationen des Ländlichen und Alltagspraktiken in Zeiten der Finanz- und Immobilienkrise (Master thesis).

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Weidinger, Tobias. Intra-europäische Lifestyle Migration an die spanische Costa Blanca. Repräsentationen des Ländlichen und Alltagspraktiken in Zeiten der Finanz- und Immobilienkrise. Master thesis, 2016.

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