Austerity and its social and political consequences

Third party funded individual grant


Start date : 01.12.2015

End date : 30.11.2016


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Scientific Abstract

Nur wenige tagespolitische Begriffe sind so stark mit Konnotationen zu individuellen und kollektiven Befindlichkeiten und Werturteilen belastet wie „Austerität“. Es ist umstritten, ob Austerität eine eigenständige politische Strategie sein kann oder nur das Instrument einer neoliberalen Herrschafts- und Umverteilungsstrategie ist. Ja diskussionswürdig scheint, ob Austerität primär erlitten oder gestaltet wird. Der Austeritätsbegriff ist stark national kontextgebunden, auch wenn die Politik, die zur Verwendung dieses Begriffes Anlass gegeben haben mag, europaweit vergleichbare Ursachen hat.

Bisher wurde Austerität in erster Linie unter ökonomischen Aspekten und mit Hinblick auf Fragen der sozialen Gerechtigkeit diskutiert. Beide Aspekte sind wichtig und können nicht vernachlässigt werden. Ökonomische Begründungen für Austeritätspolitik und Umverteilungsfragen sind aber inzwischen mehr als nur tagespolitischer Art. Die Literatur spricht von einem „age of austerity“, einem neuen Zeitalter der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, impliziert also dass sich auch ein politisch-kultureller Wandel vollzieht und sich ein neues Paradigma im Verhältnis von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft herausbildet.

Weshalb ist das so? Wie wird „austerity“ in den EU-Ländern be- und verarbeitet (z.B. durch den Wandel im Parteiensystem; Technokratenregierungen; Regierungswechsel oder auch durch nationale Narrative zur Interpretation von „Austerität“ und Ungleichheit). Weshalb sind wir mit „varieties of austerity“ konfrontiert? Hier sind Bezüge zur „varieties of capitalism“-Debatte offensichtlich, aber darüber hinaus lassen sich mindestens vier Grundmuster (Thesen zur Beurteilung) von Austerität unterscheiden:

(1) Am weitesten verbreitet ist wohl die These, dass Austerität in das Schema des Neoliberalismus passt. In Krisenzeiten verschärft sich der dem Neoliberalismus inhärente Umverteilungsprozess von Arm zu Reich, weil die Besitzenden über die politischen und ökonomischen Möglichkeiten verfügen, die Kosten der Krise auf die Besitzärmeren abzuschieben. Austerität wird verstanden als Frontalangriff auf den Wohlfahrtsstaat.

(2) Sparpolitik kann aber nicht nur als Expropriation verstanden werden, sondern auch als Belohnung der Tugendhaften. Insbesondere in der Zeit unmittelbar nach dem II. Weltkrieg war in Europa das Gefühl weit verbreitet – wir sitzen alle in einem, ökonomisch löchrigen Boot. Der Topos vom „Gürtel enger schnallen“ machte die Runde – für eine bessere Zukunft. Der britische Labour Schatzkanzler Stafford Cripps scheute sich 1949 nicht vor einem Arbeiterpublikum Forderungen nach höheren Löhnen als kurzsichtig, unfair, ignorant und möglicherweise absichtlich bösartig zu bezeichnen. Die ökonomischen Prioritäten müssten lauten: zuerst Exporte, dann Investitionen und persönlicher Konsum ganz zum Schluss (vgl. Spectator vom 14.1.1949, S. 2). In Großbritannien wurde im Zusammenhang mit der Austeritätspolitik auf den „spirit of the Blitz“ verwiesen. In der EU führt diese moralisch-realpolitische Sichtweise von Austerität zu der Wahrnehmung einer Spaltung zwischen Nord- und Südeuropa.

(3) Die dritte Interpretation von Austerität erkennt vor allem ökonomische Zwänge als Auslöser von Austerität. In erster Linie die Finanzmärkte, die Rating-Agenturen und der Schuldendienst erfordern Lösungen bzw. Perspektiven für nationale Haushalte. Hier wird die Austeritätspolitik „alternativlos”.

(4) Eine weniger gehörte, aber nicht unwichtige vierte These ist die, dass Austerität Grundvoraussetzung für eine nachhaltige Politik ist, die für die zukünftigen Generationen keine immensen finanziellen Altlasten zurücklassen will. Jede Generation soll für ihre Ausgaben und Verpflichtungen einstehen.

Mit diesen Thesen sind die vorherrschenden Perspektiven der Literatur grob umrissen. Im (begrenzten) Rahmen des Forschungsprojektes soll es darum gehen, die Kontextualisierung von Austeritätspolitik in ausgewählten EU-Staaten (Irland, Griechenland, Spanien, Frankreich, Italien, UK) und die Bedeutung von Austeritätspolitik für Wirtschaft und Gesellschaft komparativ zu erfassen. Konkret lassen sich Unterschiede der gesellschaftlichen Wirkungen von Austeritätspolitik in folgenden Bereichen nachweisen:

a)      bei der Ausgangslage für Austeritätspolitik bzw. den Hauptursachen für nationale Haushaltskrisen

b)      beim „Framing“ der Austeritätspolitik, also den nationalen Diskursen zur Kommunikation des Problems

c)       bei der Ausgestaltung der Austeritätspolitik

d)      bei den Auswirkungen der Austeritätspolitik auf nationale Parteiensysteme

e)      bei den Auswirkungen  der Austeritätspolitik auf die Stabilität nationaler Regierungen.

 

Die Ergebnisse des Forschungsprojekts werden erstmals ein vollständigeres, weil um die gesellschaftspolitische Bedeutung von Austerität erweitertes Bild zeigen – über den engeren Bezug von Sparpolitik hinaus. Dies hat politische, strategische und wissenschaftsbezogene Bedeutung. In Bezug auf letztere leistet das Projekt einen empirischen Beitrag zur Versachlichung der weitverbreiteten „Neoliberalismus“- und Postdemokratie-Kritik in den Sozialwissenschaften. Die strategischen Implikationen des Projekts betreffen vor allem die EU-Dimension von Austerität als Weg aus der Wirtschaftskrise. Es zeigt sich, dass es Grenzen einer one-size-fits-all europäischen Wirtschaftspolitik gibt, sowohl hinsichtlich des Framings (also der Überzeugungsarbeit für wirtschaftliche Anpassungsprozesse) als auch hinsichtlich der Ausgestaltung von Austeritätspolitik. Das Forschungsprojekt kümmert sich auch um die partei- und wahlpolitischen Folgen von Austeritätspolitik und bemüht sich darum, die Frage zu beantworten, wann und warum wirtschaftliche Anpassungspolitik zu politischer Instabilität führt.

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