Selbstaufhebung der Person in "Also sprach Zarathustra" IV. Warum die höheren Menschen in Zarathustras Höhle sitzen.

Kiesel D (2015)


Publication Language: German

Publication Type: Authored book

Publication year: 2015

Publisher: Königshausen & Neumann

City/Town: Würzburg

Abstract

Die vorliegende Analyse befasst sich mit dem – in der Forschung kontrovers diskutierten – vierten und abschließenden Teil von Nietzsches Also sprach Zarathustra. Nietzsche nimmt hier – so meine Deutung – in seiner Dramaturgie der höheren Menschen relevante Konzepte im späteren Nachlass sowie in seinen (als Erläuterungen des Zarathustra intendierten) Werken Jenseits von Gut und Böse (1886) und Zur Genealogie der Moral (1887) vorweg, insbesondere die Differenzierung von Herren- und Sklavenmoral, das Motiv der Selbstaufhebung (des Christentums) sowie sein psychologisches und epistemologisches Konzept des Perspektivismus. Diese drei Theorieteile werden auf komplexe Weise miteinander verknüpft.

Die höheren Menschen des vierten Teils (Wahrsager, König zur Rechten und zur Linken, Esel, Gewissenhafter des Geistes, Zauberer, letzter Papst, hässlichster Mensch, freiwilliger Bettler, Schatten) sind diesbezüglich entscheidend, denn sie karikieren nicht – wie oft behauptet wird – Nietzsches Zeitgenossen als solche. Vielmehr illustrieren sie spezifisch abgrenzbare Theorien, Fragmente und (einander widerstreitende) Perspektiven in der Person Zarathustras und damit Nietzsches selbst, weshalb sie sich zu Zarathustras überraschtem Erstaunen in seiner Höhle einfinden: „– in meiner eignen Höhle sitzt er, der höhere Mensch!“ (Za IV, Die Begrüssung, KSA 4.347). Die Höhle Zarathustras symbolisiert somit die multiple seelische Verfasstheit Zarathustras. Insofern sind die höheren Menschen nicht als Persiflage gedacht, sondern als dramatische Ausführung des Phänomens psychischer Selbstfragmentierung und Selbstaufhebung der Person.

Alle höheren Menschen (also: Perspektiven bzw. Reflexionsfragmente Nietzsches) sind auf der Suche nach Wegen aus dem Nihilismus und sehen Zarathustra in dieser Hinsicht als ihren Heilsbringer. Redlichkeit und Freiheit von Ressentiment erwarten sie von ihm. Zarathustras Persönlichkeit und Lehre sind jedoch – wie ich zu zeigen versuche – immer noch von der Kollision der konträren Triebe Redlichkeit und Ressentiment durchzogen und daher zum Scheitern verurteilt. Insofern Nietzsches Vorstellungen eines seelischen Gesellschaftsbaus suggerieren, dass eine starke und ungebrochene Persönlichkeit die prägende Dominanz eines einzigen Triebes bzw. eine Parteiung miteinander harmonisierender Triebe erfordert, führt die (etwa) gleich starke Präsenz der einander widerstreitenden Triebe Redlichkeit und Ressentiment zu einer Fragmentierung und Selbstaufhebung der Person.

Die Intention meiner Untersuchung ist die Erweiterung der These Claus Zittels, Selbstaufhebungsfiguren bei Nietzsche, Würzburg 1995, S. 10 f., das Motiv der Selbstaufhebung sei „Leitmotiv“, „konsequenteste Kritikstrategie“, „Schlüsseltheorem“ und „Prinzip der >tragischen< Philosophie Nietzsches“, auf das Phänomen der Selbstaufhebung der Person.

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Kiesel, D. (2015). Selbstaufhebung der Person in "Also sprach Zarathustra" IV. Warum die höheren Menschen in Zarathustras Höhle sitzen. Würzburg: Königshausen & Neumann.

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Kiesel, Dagmar. Selbstaufhebung der Person in "Also sprach Zarathustra" IV. Warum die höheren Menschen in Zarathustras Höhle sitzen. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2015.

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