Botschan M (2014)
Publication Language: German
Publication Type: Thesis
Publication year: 2014
Die Gattung der mittelalterlichen Heldenepik ist nicht ohne mündliche Vorläufer denkbar. In der avancierten Forschung besteht Konsens darüber, dass die heroischen Großepen des Hochmittelalters, wiewohl dezidiert schriftliterarisch konzipiert, auf mündlich tradierte Heldenlieder, mithin auf im Wortlaut ‚unfeste’, von Anfang an in Varianten überlieferte Texte zurückgehen.
Aus der Umformung divergenter Vorlagen mündlicher Provenienz zu einem kohärenten Text ergibt sich eine spezifische narrative Faktur der Epen: Das Schriftmedium stellt höhere Anforderungen an die narrative Logizität, die im Schrifttext jederzeit lesend überprüft werden kann. Logische Inkonsistenzen stören hier mehr als im Vortrag. Zudem wirkt das in der Mündlichkeit ökonomische ‚szenische Erzählen’ – die Konzentration auf handlungstragende Einzelszenen unter Verzicht auf nebensächliche Informationen – in der Schriftlichkeit unabgeschlossen.
Diese Phänomene wurden an den hochmittelalterlichen Referenzfassungen des Nibelungenliedes eingehend untersucht. Die späten Handschriften b, k, m und n, wiewohl auf Grund ihrer erheblichen textuellen Varianz zu den Vorlagen besonders interessant, wurden bislang ausgeklammert. Die Dissertation soll dies ändern. Die genannten Texte werden darin vor dem Hintergrund der aktuellen Kritik an traditionellen philologischen Arbeitsbegriffen (‚Fassung’, ‚Bearbeitung’) unter den erwähnten narrativen Aspekten analysiert, insbesondere die Integration neuen Erzählmaterials in die Texte der identifizierbaren Vorlagen. Darüber hinaus werden sie auf Anhaltspunkte für kulturhistorische Überlegungen überprüft: Schlägt sich die doppelte historische Distanz der spätmittelalterlichen Redaktoren zum heroischen Geist der Heldenlieder und zu deren Konzeptualisierung nach Mustern der höfischen Feudalgesellschaft um 1200 nieder (‚Alterität’)? Ist eine Distanz der Erzählhaltung auch zur Historizität (im Sinne von Pseudo-Faktizität) der Gattung erkennbar, d.h: wird Heldendichtung im Spätmittelalter bereits als Fiktion durchschaut (‚Heldenepik als Unterhaltungsliteratur’)?
Schließlich soll die textuelle Varianz der verhandelten Textzeugen auf ihre Funktion hin untersucht werden: Ist sie intentional und konzeptuell integriert, oder ist die uns tradierte Gestalt der Handschriften eher als zufälliges Produkt einer komplizierten Überlieferungsgeschichte zu begreifen?
APA:
Botschan, M. (2014). Der bewegliche Text. Zur Textvarianz der 'Nibelungenlied'-Handschriften k und n (Dissertation).
MLA:
Botschan, Marcus. Der bewegliche Text. Zur Textvarianz der 'Nibelungenlied'-Handschriften k und n. Dissertation, 2014.
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