Lateinamerika als Übersetzungsraum

Internally funded project


Start date : 01.02.2011


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Scientific Abstract

Die koloniale Situation hat den Umgang Lateinamerikas mit den europäischen Kulturen entscheidend geprägt; sie hat ein kulturelles Gefälle entstehen lassen zwischen zentraler Ausgangskultur, wo die Originale produziert werden, und peripherer Zielkultur, wo sie rezipiert und nachgeahmt, in die sie übersetzt werden. Weil aber der gesamte Kontext der Zielkultur gleichsam als Translationsmedium fungiert, werden diese Modelle im Translationsprozess verändert. Übersetzen war seit der Kolonialzeit eine identitätsstiftende Praxis. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach den unterschiedlichen Verfahren, mit denen ein peripherer Kulturraum sich Kulturgüter des Zentrums aneignet und sie verändert.

Ohne diese Art der Kulturübersetzung ist Lateinamerika schlicht nicht vorstellbar. Dabei handelt es sich nicht um einen einseitigen Übertragungsprozess von der zentralen Ausgangskultur hin zur peripheren Zielkultur, sondern um einen Kulturtransfer in beiden Richtungen, für den der kubanische Anthropologe Fernando Ortiz 1940 den Begriff transculturación prägte.

Das Ver­hältnis von originalem Ausgangstext und über­setztem Zieltext kann durchaus mit dem kolonialen Gefälle von zentraler Ausgangskultur und peripherer Ziel­kultur verglichen werden. Im Fall La­teinamerikas als Übersetzungsraum ist die Asymmetrie und die Un­gleich­heit im Rahmen von Macht­verhältnissen zwischen Kolonialmacht und Kolonien ein nicht zu vernachlässigender Faktor. Fragen der kulturellen Au­torität der jeweiligen Sprachen, der un­gleichen Chancen im Zugang zum literari­schen Übersetzungsmarkt, zum Status von Überset­zern und Übersetzungen gewinnen an Relevanz, sobald die Über­set­zung in einer ko­lonialen oder postkolonialen Situation stattfindet. Im so verstandenen Übersetzungsprozess entstehen neue kulturelle Paradigmen; der übersetzte Text kann als ein ‚Kontakttext‘ gelesen werden, als Text-Raum einer Ko­präsenz von Sprachen, in dem ein höchster Grad an interner Dia­lo­gi­zi­tät erreicht wird. Die im Rahmen des postcolonial turn erarbeiteten Theoriemodelle von Zwischenräumen oder in-between-spaces, von hybriden Kul­turen, von travelling theories erlauben eine Neubetrachtung von Übersetzungsverhältnissen zwischen Kulturen, die in kolonialen Räumen miteinander in Verbindung standen.

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